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Es war eine Playoff-Serie für die Geschichtsbücher, welche sich der SVWE und der HCR in diesem Viertelfinal-Duell lieferten. Fünf Spiele, fünfmal Verlängerung, das hat es so noch nie gegeben. Der Rekordmeister hat sich am Ende mit 4:1-durchgesetzt und gewann nicht nur die Serie, sondern auch wertvolle Erkenntnisse.

Erkenntnis 1: Viermal Glück in Serie heisst auch Können
Overtime heisst auch immer so etwas wie Lotterie. Ein Pfostenschuss hier, ein dummer Abpraller dort, ein fragwürdiger Schiri-Pfiff. Alles kann der entscheidende Faktor sein. Natürlich spielt der Faktor Glück eine wichtige Rolle. Doch immer nur Glück ist irgendeinmal auch Können. Viermal in Serie hat der SVWE dieses Glück auf seiner Seite gehabt, oder vielleicht eben doch etwas mehr Qualität als der HC Rychenberg. Analysieren wir die vier Siege vom 0:1-Rückstand in der Serie zum 4:1.

Spiel 2 in Winterthur: Nach der überraschenden Heimniederlage zum Auftakt steht der SVWE im zweiten Spiel in Winterthur bereits unter Druck. Eine zweite Niederlage würde die Aufgabe ziemlich verkomplizieren. Doch das junge Team hält dem Druck stand, verfällt nicht in Panik, als man nach 2:0-Führung plötzlich 2:3 hinten liegt. Und auch der Ausgleichstreffer zwei Sekunden vor Spielende wirft den SVWE nicht aus der Bahn. Das Team beweist mentale Stärke und gleicht die Serie aus.

Spiel 3 in Kirchberg: Rychenberg kann dreimal in Führung gehen, Wiler kann dreimal ausgleichen, nach 30 Minuten steht es 3:3. Dann neutralisieren sich die Teams praktisch bis Ende Verlängerung, es fällt kein Tor mehr in den restlichen 40 Minuten. Das Penaltyschiessen muss entscheiden. Und da zeigen die Wiler Akteure Nerven aus Stahl. Alle vier Schützen treffen souverän, bei Winthi scheitern der erste und der letzte Schütze.

Spiel 4 in Winterthur:
Wie schon am Samstag fehlt Topskorer Dudovic wegen Corona. Einmal mehr sind Umstellungen nötig. Doch wie schon im ersten Auswärtsspiel kann der SVWE vorlegen, gewinnt das Startdrittel 1:0, eigentlich 2:0, doch der zweite Treffer wird zu Unrecht wegen angeblichen hohen Stocks aberkannt. Das Spiel wiegt hin und her, wieder gleichen die Gastgeber in der Schlussphase des Spiels aus. Und wieder gelingt dem SVWE das Tor in der Verlängerung, dank einem gewonnenen Zweikampf in der Mittelzone, einem schnellen Umschalten und der Schusstechnik von Rückkehrer Känzig.

Spiel 5 in Kirchberg: Halbfinal in den Gedanken, die Realität vor Augen – 0:3 liegt der SVWE bei Spielhälfte zurück, wirkt ideenlos bei der Auslösung, ja schon fast hilflos. Der HCR hat sein Defensivsystem fast zur Perfektion aufs Wiler-Spiel adaptiert und kann auch die individuellen Fehler abstellen. Erst ein Powerplaytor zu Beginn des Schlussabschnitts von Louis wirkt für den SVWE als Dosenöffner. Plötzlich kommt die Maschinerie ins Laufen, innerhalb von 13 Minuten ist die Partie ausgeglichen. Vom HCR kommt nun nicht mehr viel. Erst der Lattenschuss von Hollenstein, dann der präzise Hockeckschuss von Pylsy. Der SVWE will den Sieg mehr und zieht ins Halbfinale ein.

Erkenntnis 2: Verbesserte Special-Teams und Standards
Die Qualifikationsphase des sich im Umbruch befindenden Teams war Übererwarten gut. Kaum jemand hätte die jüngste Equipe der Liga auf Augenhöhe mit Meister Köniz gesehen. Einer der grössten Schwachpunkte waren die «Special Teams». Selten hat der SVWE so viele Powerplays nicht nützen können. Und auch in Unterzahl, insbesondere das 5 gegen 6-Spiel liess einige Fragen offen, agierte der SVWE nicht immer glücklich. Nun denn: Die Powerplayquote in der Serie gegen den HCR liegt bei 100 Prozent! Und in Unterzahl kassierte man nur ein Gegentor bei sechs Unterzahlsituationen. Was für eine Steigerung! Und dann wären da noch die Standards: Zu Beginn der Serie noch ein Ärgernis und gar der Ursprung von Gegentoren. Im letzten Spiel konnte der SVWE die Serie mit zwei einstudierten Freistoss-Varianten zum 4:4 und 5:4 für sich entscheiden.

Erkenntnis 3: Der Messi/Neymar/Mbappé-Irrtum
Stellen sie sich vor, sind könnten den WM-Topskorer von 2018 mit dem Allstarteam-Center der WM 2018 und dazu den Liga-mvp der Saison 2018/19 in einer Linie laufen lassen. Da muss es doch gewaltig rauschen, sollte die gegnerische Defensive aus den Angeln gehoben werden. Nun denn: Am Samstag hatte die Wiler Trainercrew erstmals so etwas wie die Qual der Wahl. Nie in den ersten vier Playoff-Spielen und nur ganz wenig in der Quali standen Michal Dudovic (Wm-Topskorer 2018), Joonas Pylsy (Allstar-Team-Center WM 2018) und Deny Känzig (Schweizer Liga-mvp 2019) zur Verfügung. Immer fehlte einer aus dem Trio, entweder verletzt oder dann wegen Corona. Nun also bot sich die Möglichkeit, das Trio in Spiel fünf Seite an Seite stürmen zu lassen.  Was für eine verlockende Aussicht. Doch was schaute dabei raus? Ein warmes Lüftchen! Die Linie produzierte fast gar nichts, stand bis kurz vor Schluss gar mit einer Minusbilanz da. Nur die Freistossvariante zum 4:4 rettete die Bilanz. Die Partie drehte aber die zweite Linie mit Leader Marco Louis und Mentalitätsmonster Affolter (er wirkte zuvor 40 Minuten in der dritten Formation verloren). Drei begnadete Offensivkünstler garantieren eben nicht Tore am Fliessband, die Mischung macht es aus. Unlängst zu sehen bekam man dies auch im Fussball, als das Projekt PSG mit Messi, Neymar, Mbappé krachend in den Achtelfinals der Champions League scheiterte.

Erkenntnis 4: Die Jungen – gefördert, gefordert und teilweise überfordert
Der SVWE stellt nach dem massiven Umbruch das jüngste Team der Liga. Für die zahlreichen Talente aus dem eigenen Nachwuchs gab es kaum Anpassungszeit. Von der Juniorenliga direkt auf NLA-Spitzenniveau – mehr als ein halbes Dutzend Spieler kam in den Genuss dieser sportlichen «Schnellbleiche». Einige davon sogar noch im U18-Alter. Natürlich kann man sich kaum bessere Nachwuchsförderung vorstellen, als die Jungtalente ins kalte Wasser zu werfen. Gerade in wichtigen Spielmomenten, in den Playoffs sowieso, macht sich mangelnde Erfahrung dann aber schon bemerkbar. Es ist durchaus bemerkenswert, wie sich die Talente in ihren ersten NLA-Playoffs schlagen. Siegenthaler und Mühlemann haben als Center bereits tragende Rollen, ein Yannis Wyss im ersten Block. Die beiden Goalies können sich auch nicht mehr hinter einer Nummer 1 verstecken. Damit die Reise des SVWE noch weiter geht, dafür braucht es allerdings beinahe schon ein kleines Wunder, oder vor allem keine Verletzungen bei den wenigen Routiniers. Damit könnte der eine oder andere Junior vielleicht einmal auch eine Partie auslassen. Denn in einigen Spielphasen wirkt der Nachwuchs dann doch auch etwas überfordert, geht es ihm (noch) zu schnell, ist die Physis (noch) nicht ausreichend, oder trifft man unter Druck falsche Entscheidungen. Stolz auf das Erreichte können sie allemal sein, wohin immer diese Playoff-Reise noch gehen wird.

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